Aus dem Handelsblatt-Archiv: Psychologin Monika Müller empfiehlt im Interview beim Hausbau weniger Gefühle und mehr Nüchternheit. Denn der Eigenheim-Wunsch könne auch in eine Sackgasse führen.
Foto: imago images/Shotshop
Die Psychologin und Finanzcoachin Monika Müller spricht mit ihren Klienten oft über den Wunsch, eine Immobilie zu bauen oder zu kaufen. Dabei stößt sie immer wieder auf verzerrte Wahrnehmungen und unrealistische Wünsche. Im Interview erklärt sie, warum der Wunsch nach einem Eigenheim Kreativität erfordert – und manchmal auch Disziplin.
Frau Müller, woher kommt das Gefühl, sich nichts leisten zu können?
Ich finde die Formulierung „sich nichts leisten können“ sehr hart. Das klingt fast schon ausweglos.
Aber viele Menschen fühlen sich derzeit so, wenn sie an eine eigene Immobilie denken.
Da haben Sie recht. Aber führen Sie sich diesen Satz noch einmal vor Augen. Wer ihn sagt oder auch denkt, muss feststecken und nicht mehr weiterkommen.
Was kann man dagegen tun?
Erst mal rechnen. Themen wie das Eigenheim emotionalisieren uns mitunter extrem. Da ist es gut, einen Schritt zurückzutreten und die Sache aus Distanz nüchtern zu betrachten. Und zu sehen, was man sich leisten kann.
Und dann?
Fragen Sie sich, ob Sie eine Immobilie tatsächlich wollen, was für eine das sein soll und wo sie stehen soll.
Lesen Sie hier das Interview mit Monika Müller zu Eigenheim und Immobilien:
Vielerorts heißt es, dass es früher einfacher war, ein Eigenheim zu bauen oder zu kaufen. War die Generation derer, die vor 30, 40 Jahren gebaut oder gekauft haben, ein anderer Menschenschlag, oder hatten sie einfach nur Glück?
Viele hatten sehr begrenzte Mittel und haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten beim Bau mitgearbeitet. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Bauherren der 80er und frühen 90er die Nachkriegszeit mit all ihren Entbehrungen größtenteils noch miterlebt haben. Wer Verzicht gewohnt ist, kann diese Übung jederzeit wiederholen. Und das haben viele beim Hausbau gemacht und wenn es darum ging, den Kredit abzustottern.
Foto: Handelsblatt
Sind Menschen, die jetzt kaufen wollen, zu viel Luxus und zu wenig Verzicht gewohnt?
Diese Gruppe ist in der Regel zwischen 30 und 45 Jahre alt, die meisten dieser Menschen haben, Gott sei Dank, nur selten auf etwas verzichten müssen. Sie müssen mit dem Verzichten und Investieren umgehen lernen.
Wie geht das?
Indem sie mit der Generation sprechen, die Erfahrung hat. Da werden sie neben dem Thema der Finanzierung vor allem lernen, wie man mit dem Risiko eines Hausbaus oder eines großen Kredits umgeht. Und sie werden bemerken, dass auf dem Weg ins Eigentum auch Kreativität wichtig ist.
Psychologin Monika Müller: „Wir Menschen vergleichen uns immer“
Kreativität?
Sicher! Oder kennen Sie jemanden, der oder die auf dem Weg ins Eigenheim keine Kompromisse machen musste oder Lösungen für plötzlich aufgetretene Probleme finden musste?
Warum neigen wir Menschen dazu, die Vergangenheit zu verklären?
Das ist ein sehr menschlicher Zug und auch in Maßen gesund. In unserer Erinnerung verblassen nach und nach unschöne Ereignisse. Wenn jemand traumatisiert wurde, ist das natürlich etwas anderes, aber der Blick zurück richtet sich in der Regel vor allem auf die positiven Ereignisse. Dass für die Finanzierung des Hauses jahrelang der Sommerurlaub ausgefallen ist, daran erinnert man sich eher nicht. Eher an den Einzug und wie schön es war, im Eigentum zu wohnen. Ungesund wird es, wenn man anfängt, nur noch die Vergangenheit zu verklären, dann verschwinden die Fakten.
Ist die „Unerschwinglichkeit“ einer Immobilie, die viele Menschen derzeit empfinden, auch die Angst vor dem sozialen Abstieg, vor allem dann, wenn man selbst aus einem Haushalt mit Wohneigentum stammt?
Wir Menschen vergleichen uns immer und am liebsten mit anderen, denen es objektiv oder nur in unserer Wahrnehmung besser geht. Das kann dazu führen, dass wir entweder angespornt sind oder dass wir resignieren. Außerdem vergleichen wir uns gern mit dem Rest unserer Altersgruppe. Kann dort keiner oder kaum jemand Eigentum erwerben, beunruhigt uns das eher, als wenn man selbst der oder die Einzige ohne Eigentum ist. Im Verhältnis zur Vorgängergeneration würde ich eher von Gewohnheiten sprechen …
… im Sinne von „Ich bin in einem Einfamilienhaus aufgewachsen, also brauche ich auch eines“?
Genau. Diese Gewohnheit kann einerseits zu Enttäuschungen führen, wenn es nicht klappt, andererseits aber auch dafür sorgen, dass man gewappnet ist und bereits von den Eltern weiß, welcher Aufwand, welche Entbehrungen und welcher Verzicht in einem Eigenheim stecken können.
Foto: IMAGO / Shotshop
Spüren Menschen, die in einem Mieterhaushalt aufgewachsen sind, diesen Druck weniger oder gar nicht?
Einerseits ja, andererseits sind diese Menschen, wenn sie ein Eigenheim bauen oder kaufen, unter Umständen viel blauäugiger und laufen Gefahr, mehr Fehler zu machen als andere, die ihre Eltern fragen können. Das erhöht den Stress beim Bau oder Kauf.
Weshalb der Traum vom eigenen Haus nicht immer glücklich macht
Ist das eigene Haus bald ein Statussymbol von gestern wie etwa für viele junge Menschen das Auto? Ein Haus auf der grünen Wiese zu bauen ist ökologisch ja ein Frevel.
Guter Punkt und auch ein Lösungsansatz. Denn viele Menschen, die gerade erfahren müssen, dass ihr Wunsch nach einem eigenen Häuschen nicht realistisch ist, sollten sich trauen, umzudenken und kreativ zu sein. Ein Einfamilienhaus, wie es sich so viele Menschen wünschen, ist vielleicht sogar eine Sackgasse.
Wie meinen Sie das?
Gerade junge Familien brauchen Anschluss. Damit meine ich Menschen in ihrer Nähe, die etwa helfen und auf die Kinder aufpassen, wenn die Eltern beruflich eingespannt sind. Der Mangel an Erziehern in Kitas zeigt uns überdeutlich, wie wichtig Netzwerke in der direkten Nachbarschaft sind.
Ist das Eigenheim, vor allem das Einfamilienhaus historisch eher eine Episode und wir bewegen uns wieder auf eine Zeit zu, in der mehrere Generationen gemeinsam auf einem Hof oder in einem Haus oder anderswie nah zusammenwohnten?
Das wird vielerorts eine Lösung sein, und dank moderner Architektur wird es auch möglich werden, in Gemeinschaften zu leben und trotzdem Rückzugsorte zu haben.