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Franzose findet im Müll eine Schachtel mit 35-mm-Filmrollen, die das Leben im Nazi-Kriegsgefangenenlager für polnische Offiziere festhalten

Es war eine Winternacht im Jahr 1999. Der damals 19-jährige Olivier Rempfer war nach einem Abend mit Freunden im benachbarten Saint-Laurent-du-Var auf dem Rückweg in seine Heimatstadt Cagnes-sur-Mer im Südosten Frankreichs, als ihm eine Holzkiste auf einem Müllcontainer ins Auge fiel. Neugierig öffnete er die Kiste und sah mehrere zylindrische, in Papier eingewickelte Gegenstände.

Rempfer wartete, bis er wieder zu Hause war, um die Gegenstände auszupacken. Als er das tat, stellten sie sich als Rollen schwarzweißer 35-mm-Filme heraus. Als er die Filmstreifen gegen das Licht hielt, sah er Uniformen, Baracken, Wachtürme – und kostümierte Männer auf der Bühne. Rempfer nahm an, die Bilder müssten während der Dreharbeiten zu einem Kriegsfilm aufgenommen worden sein und die Männer darauf seien Schauspieler, also legte er die Kiste beiseite und vergaß sie. Jahre später stieß sein Vater, Alain Rempfer, auf die Kiste. Auch der ältere Rempfer, ein Fotograf, war sich nicht sicher, was auf den Filmnegativen zu sehen war. Bis er 2003 einen Filmscanner kaufte und endlich Zeit fand, sich die rund 300 Bilder genauer anzuschauen. „Mir wurde schnell klar, dass es sich um echte, historische Fotos handelte, aufgenommen während des Krieges in einem Kriegsgefangenenlager“,  sagt Rempfer . „Auf dem Rand des Films stand der Markenname ‚Voigtländer‘. Den Namen kannte ich aus Filmen nicht, aber ich wusste, dass Voigtländer ein deutscher Kamerahersteller war.“ Rempfer suchte nach einem Hinweis darauf, wo die Bilder aufgenommen worden sein könnten. Auf einem war ein Lastwagen zu sehen, auf dessen Ladefläche mehrere Männer saßen. Auf der Ladefläche erkannte Rempfer in weißen Lettern „PW CAMP MURNAU“, dann die Buchstaben „PL“. Eine kleine Recherche ergab, dass sich im deutschen Murnau von 1939 bis 1945 ein Kriegsgefangenenlager für polnische Offiziere befunden hatte. Vater und Sohn betrachteten die Fotos aufmerksam und fasziniert. „All diese jungen Männer haben uns während ihrer Zeit im Lager direkt durch die Kamera angesehen“, sagte Alain Rempfer. „Und wir kennen weder ihre Namen noch wissen wir, wie ihr Alltag dort aussah, wir wissen nichts über ihre Hoffnungen, ihre Gefühle.“ Es war ein seltsames Erlebnis, als hätte jemand den Ton ausgeschaltet und ihn vor einem Stummfilm zurückgelassen. Vater und Sohn entschieden, dass eine Website der beste Weg wäre, die Bilder der Welt zu zeigen. Sie hofften, dass die Bilder jeden erreichen würden, der sich dafür interessieren könnte, vor allem aber die Familienangehörigen der ehemaligen Kriegsgefangenen, die vielleicht nach Informationen suchen oder jemanden auf den Fotos erkennen könnten.

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Den in Murnau inhaftierten polnischen Offizieren war es erlaubt, Theaterstücke und Operetten zur Unterhaltung aufzuführen. Da es im Lager keine weiblichen Häftlinge gab, übernahmen Männer die Rollen der Frauen in Frauenkleidern und hatten offenbar großen Spaß daran.

 

Der Augenzeuge Tom Wodzinsky, der nach Veröffentlichung der Bilder Kontakt zu den Rempfers aufnahm, sagte, dieses Foto zeige vermutlich die Unterkünfte für Unteroffiziere und Berufssoldaten in den Blöcken E, F, G, H und K des Lagers.

 

Eine Szene aus einem Marionettentheater.

 

Auch im Offizierslager Oflag VII-A in Murnau gehörte ein Orchester dazu. Das Offizierspublikum bestand aus deutschen Soldaten des Lagers, die gelegentlich ihre Familien zu den Aufführungen mitbrachten.

 

Eine Gruppe Offiziere posiert auf der Bühne des Lagertheaters, im Vordergrund das Orchester.

Manche Fotos, wie dieses von einem Schwimmbad, erwecken fast den Eindruck, Oflag VII-A sei ein Wellness-Retreat und kein Kriegsgefangenenlager gewesen. Aus dem Foto ist allerdings nicht ersichtlich, ob die Häftlinge des Lagers schwimmen durften oder ob dies nur den Wachleuten gestattet war.

 

Am Nachmittag des 29. April 1945 näherten sich amerikanische Soldaten von Norden her Murnau, als ein Fahrzeug mit SS-Offizieren vorbeifuhr.

 

Vor dem Lager trafen die beiden gegnerischen Seiten aufeinander und es kam zu einem Feuergefecht. Die meisten deutschen Soldaten drehten sich um und flohen.

 

Deutsche Soldaten zogen sich in Richtung Murnau und zum Lager zurück. Augenzeugen berichten, dass einige Häftlinge über die Zäune kletterten und auf die Amerikaner schossen.

 

Die gesamte Szene wurde von einem unbekannten Fotografen aus dem Fenster eines Gebäudes im Lager aufgenommen.

 

Der Fotograf machte auch ein Foto von zwei toten SS-Männern, die der Augenzeuge Tom Wodzinsky als Oberst Teichmann und Hauptmann Widmann identifizierte.

 

Etwas später verließ der Fotograf offenbar seinen Posten im Lager, um sich die beiden toten deutschen Offiziere genauer anzusehen. Die Leichen waren inzwischen aus dem Zentrum an den Straßenrand gebracht worden.

 

Der Eingang zum Oflag VII-A in Murnau, aufgenommen am Tag der Befreiung des Lagers durch amerikanische Streitkräfte am 29. April 1945. Links vom Fahrzeug ist die Stelle zu sehen, an der die beiden Deutschen erschossen wurden.

 

Die Identität des Fotografen, der offenbar vor und nach der Befreiung des Lagers ungehindert Fotos machen durfte, bleibt weiterhin ein Rätsel.

 

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Dieser Offizier scheint nach der Befreiung des Lagers durch amerikanische Truppen 1945 in die Kamera zu zwinkern. Seine Uniform lässt darauf schließen, dass er ein Mitglied des nach Großbritannien exilierten polnischen Militärs war. Nach der Eroberung Polens durch Nazideutschland 1939 behielt die von den Alliierten anerkannte Kriegsregierung ihren Sitz im Ausland, ab 1940 in London.

 

Am 29. April 1945 wurden die etwa 5.000 Häftlinge des Kriegsgefangenenlagers Murnau von amerikanischen Streitkräften befreit.

 

Die Männer im Hintergrund haben hier ihre Hände erhoben. Es handelt sich wahrscheinlich um die deutschen Lagerwachen, die sich ergeben und ihre Waffen abgegeben haben (siehe Bild links im Vordergrund).

 

Hier scheint es, als würden sich die Lagerinsassen auf ihre Abreise aus Murnau vorbereiten.

 

Zwei polnische Offiziere unterhalten sich im Lager. Das Foto wirft die Frage auf, wer der Fotograf war, da er den Männern so nahe kommen durfte.

 

Nach der Befreiung durch die Amerikaner 1945 herrschte im Lager eine entspannte Atmosphäre. Vor den Baracken links sitzen einige ehemalige Häftlinge auf Liegestühlen in der Sonne.

 

Dieses Foto entstand nach der Befreiung des Lagers. Die Männer warten offenbar auf den Lastwagen, der sie wegbringen soll.

 

Eine Karawane des Roten Kreuzes besucht das Lager nach seiner Befreiung, um die Menschen mit ihren Habseligkeiten nach Hause zu bringen.

 

Soldaten sitzen auf einem Lastwagen mit der Aufschrift “PW Camp Murnau”. Dieses Foto gab Olivier Rempfer und seinem Vater Aliain den ersten Hinweis darauf, wo die Fotos aufgenommen wurden.

 

Ein paar Uniformierte stehen entspannt neben einem Auto und unterhalten sich mit einigen Frauen. Andere Frauen in Zivil sitzen daneben und rauchen. Wer sind diese Menschen und was hat den Fotografen dazu bewegt, sie auf Film festzuhalten?

 

Unter den Fotos des Kriegsgefangenenlagers finden sich auch einige Bilder aus München, wie dieses, das Deutsche zeigt, die für Milch anstehen.

 

Dieses Foto zeigt die Münchner Reichenbachbrücke vor den Ruinen zerstörter Häuser.

 

Auf einem anderen Bild aus München ist ein junges Paar zu sehen, das vor einem zerbombten Gebäude posiert.

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